Mut ist…
„Hallo!!!!! Ist da jemand?“, schallte es aus dem
Telefon. Livia wusste, wer es war. Sie wusste, dass sie ihn angerufen
hatte und sie wusste, dass es das zehnte Mal war. Doch sie legte wieder
auf ohne ein Wort zu sagen. Das einzige was sie wollte war ein Date, ein
einziges, nur eines, nicht mehr. Aber sie konnte es nicht, konnte ihm
nicht in die Augen schauen, konnte kein Wort mit ihm wechseln.
Der Junge, den sie meinte, hieß Peter. Er war das Beste, was man bekommen
konnte. Er hatte seidiges blondes Haar und blaue Augen. Seine Blicke waren
wie Küsse.
Doch Livia kannte nur seine Blicke. Na ja, er sah sie zwar nie an, aber
das hieß doch nichts. Oder doch? Hasste er sie vielleicht? Das war Livia
egal, für sie war Peter ihre Luft, er war wie eine Droge. Sie war süchtig
nach Peter und nach Liebe.
Aber immer wenn sie ihn anrief, bekam sie es mit der Angst zu tun.
Sie rief ihn trotzdem jeden Tag an. Seine Telefonnummer hatte sie aus dem
Telefonbuch. Es hatte sie eine Stunde gekostet, alle „Mender“
durchzusuchen. Jeden Tag nahm sie sich vor, ihn anzurufen und zu fragen,
aber sie schaffte es nicht.
Livia beschloss, ihre Eltern zu fragen, ob sie seine Eltern anrufen
könnten. Vielleicht konnte Peter ihr ja Nachhilfe geben und zu ihr kommen.
Ja, das war’s, das würde sie machen.
Ihre Eltern zu überreden war nicht schwer, und sie taten es tatsächlich.
Livia wollte nicht neben dem Telefon stehen. Nein, das traute sie sich
nicht. Sie lief in ihr Zimmer, schloss die Tür und setzte sich auf ihr
Bett.
In dieser Zeit vergingen die Sekunden wie Minuten und die Minuten wie
Stunden.
Ihr kam es vor, als wäre sie eine Stunde in ihrem Zimmer gesessen und
hätte gewartet. Aber es war nur eine Minute. Als ihre Mutter die Tür
öffnete, blieb ihr Herz stehen und es brach, als sie Mutters Worte hörte:
„Er hat keine Zeit!“ - „Was?“, schoss es ihr durch den Kopf. Sie konnte
nicht mehr richtig denken. War es eine Lüge oder die Wahrheit. Hasste er
sie oder wollte er, dass sie ihn fragte.
Diese und tausende andere Fragen schossen ihr durch den Kopf. In dieser
Nacht schlief sie nicht so schnell ein. Sie machte sich Gedanken, ob sie
ihn fragen sollte oder nicht.
Am nächsten Tag, in der schlimmsten Stunde in Livias Augen, in Deutsch,
verkündete die Lehrerin, dass sie ein Projekt starten wolle. Jeder sollte
einen Aufsatz über das andere Geschlecht schreiben. Es wurde per
Auszählreim beschlossen, und wie es der Zufall wollte, sagte die Lehrerin:
„Livia und Peter.“ Beide sahen sich an, sagten aber kein Wort. Beim Läuten
sprachen beide immer noch nichts, sie sahen sich nicht mal an.
Am Abend versuchte Livia über Peter zu schreiben, aber ihr fiel nichts
ein. Sie musste Peter anrufen, aber sie traute sich nicht.
Sie ging in Zeitlupe zum Telefon und im gleichen Tempo hob sie den Hörer
ab und wählte die Nummer. Ihre Hände wurden nass vor Schweiß. Es fing an
zu klingeln, sie wurde fasst ohnmächtig, doch plötzlich erklang seine
aufregende Stimme.
„Hallo! Wer ist da? Peter am Apparat!“ Livia suchte für einige Minuten
ihre Stimme.
„ Ich bin’s, Livia.“, sagte sie ganz cool, und ihre Angst war weg. Doch es
meldete sich niemand.
„Äh, hallo Livia. Was gibt’s?”, fragte er.
„Du weißt doch, das blöde Projekt. Ich wollte…“, jetzt war der
entscheidende Moment, „fragen, wann wir uns treffen können. Vielleicht
nicht nur wegen dem Projekt?“ Sie dumme Kuh, warum hatte sie das gesagt?
Oh nein!
„Sehr gern. Wie wär’s mit heute, jetzt? Ich komm zu dir. Tschau!“, schrie
er. Es machte klick. Sie lief in ihr Zimmer, zog was Cooles an und schrieb
in ihr Tagebuch: Mut ist, die Liebe zu gestehen.
Jennifer Wiener |