Wenn du was
erzählst, stirbt deine Mami!
Die kleine Lisa wurde von ihrem Onkel nach der Schule
abgeholt. Sie wunderte sich, dass ihre Mutter ihr nichts davon gesagt
hatte. Der Onkel sah ihren verwunderten Blick und meinte: „Deine Mutter
kommt heute etwas später nach Hause, sie hat gesagt, ich soll dich mit zu
mir nach Hause nehmen.“ Da er Lisas Lieblingsonkel war, akzeptierte sie
diese Erklärung und stieg in das Auto ihres Onkels. Während der Fahrt
fragte er sie, wie es in der Schule war, wie es ihr ginge und lobte sie
für den Einser, den sie heute bekommen hatte.
Zu Hause angekommen, schauten sie sich Lisas Lieblingsserie im Fernsehen
an. Nach einigen Minuten fragte er: „Ist dir nicht zu heiß? Du kannst
ruhig deinen Pullover ausziehen!“ Lisa merkte, dass sie schwitzte und so
zog sie sich den Pulli aus. Augenblicke später griff der Onkel ihr an die
Brüste. „He! Was machst du? Das darfst du nicht!“, schrie sie. Sie wollte
sich wehren, doch sie war chancenlos. Ihr Onkel hatte sich schon über sie
geworfen. Sie schlug ihn, biss ihn, bespuckte ihn und schrie ganz laut,
doch nichts half ihr. Sie wollte um Hilfe schreien, doch ihr Onkel hielt
ihr die Hand vor den Mund. Er zog Lisas Hose hinunter. Lisa wusste nicht,
was jetzt geschehen würde. „Was macht er da?“ Sie rang nach Luft. Ihr
Onkel streifte sich nun selbst hastig die Hose runter. Nochmals versuchte
sie, sich zu wehren, doch auch dieser Versuch ging schief. Jetzt war es zu
spät. Es hämmerte in ihren Schläfen: „Vergewaltigt! Vergewaltigt!“
„Wenn du das jemandem erzählst, stirbt deine Mami!“, drohte er ihr und
schickte sie einfach zu Fuß nach Hause. Den ganzen unendlich langen Weg
überlegte sie: „Was hat er da getan, warum mit mir? Was war das? Warum
stirbt meine Mama, wenn ich etwas erzähle?“
Tagelang schwieg sie. Einmal hätte sie sich fast verplappert, doch sie
konnte sich gerade noch zurückhalten. Nur ihre Depressionen und Alpträume
wurden schlimmer und schlimmer.
Irgendwann hielt sie es nicht mehr aus: „Mami, kann man sterben, wenn man
ein Geheimnis weitererzählt bekommt?“ „Nein! Wie kommst du denn darauf?“,
fragte ihre Mutter misstrauisch. Lisa zögerte, doch dann erzählte sie
ihrer Mutter, was ihr Onkel ihr angetan hatte. Ihre Mutter glaubte ihr
zuerst nicht, doch dann erinnerte sie sich, dass Lisa vor ungefähr einer
Woche später nach Hause gekommen war als gewöhnlich. „Stimmt das auch
wirklich?“, fragte die Mutter fassungslos. „Ja, wirklich. Musst du jetzt
sterben, Mami?“ „Nein, natürlich nicht! Wer hat denn das behauptet?“,
wollte sie wissen. „Der Onkel hat das gesagt!“
Die Mutter nahm Lisa in den Arm und drückte sie fest an sich. „Gut, dass
du mir vertraust!“, flüsterte sie ihrer Tochter ins Ohr. „Wir gehen jetzt
zur Polizei.“
Cornelia Fuhrmann |