Flucht ohne Ziel
Ich bin seit zwei Tagen schon auf der Flucht vor
meinem Onkel. Von ihm wurde ich bei jedem kleinsten Fehler geprügelt.
Schläge waren an der „ganz normalen“ Tagesordnung.
Als ich es nicht mehr aushalten konnte, packte ich mein wichtigstes Zeug
und verließ in der Nacht, als alle schliefen, das Haus.
Ich bin sehr müde, hungrig und durstig. Kein Mensch weit und breit. Ich
befinde mich gerade irgendwo in der hügeligen Landschaft weit entfernt von
jeglicher Zivilisation. Meine Tasche, die ich mittrage, ist sehr schwer.
Plötzlich spüre ich einen stechenden Schmerz in meinem Körper. Die Knie
werden butterweich, und beginnen zu zittern. Ich muss mich hinsetzen.
Ich schaue zum Himmel und sehe in der klaren Nacht eine Sternschnuppe.
Nachdem ich mir etwas gewünscht habe, stehe ich auf und schleppe mich
weiter. Fragt mich nicht, wo und wie man in dieser Wildnis schläft.
Nächsten Morgen, als ich aufwache, geht soeben die Sonne auf. Die
Sonnenstrahlen scheinen auf meinen Körper. Mir wird warm. Ich denke an
meine Familie, Vater, Mutter, Geschwister, die ich alle nie wieder sehen
werde. Die hätten sich schon um mich gesorgt, aber es ist vorbei. Über den
Unfall stand alles in der Zeitung. Das Leben ist grausam und vom Mitleid
meines Onkels ist keine Rede mehr.
Und jetzt bin ich kurz vor dem Verhungern. Ich nehme alle meine Kraft
zusammen, stehe auf und setze mühsam einen Fuß vor den anderen. Es fühlt
sich an, als ob ein Stein an meinen Beinen befestigt wäre. Ich werfe einen
Blick in Richtung Sonne. Flucht ohne Ziel. Plötzlich geht mir nur noch
eine Frage durch den Sinn, und zwar die, ob mein Leben überhaupt noch Sinn
macht.
Sebastian Polin |